Lesen lernen verboten!(oder- Neues Patentrecht: Webseiten und Programmierer bedroht?

Begonnen von Mike, 23. September 2003, 11:19:48

« vorheriges - nächstes »

Mike



Europaparlament gibt reinen Softwarepatenten einen Korb
siehe
http://www.heise.de/newsticker/data/jk-24.09.03-000/  



:cool:  :up:  :up:  :D:

Ein Anfang ist gemacht, diesen Schwachsinn zu verhindern!

Mike

ZitatKundgebung: Wir müssen leider draußen bleiben

Vom dem 17. bis zum 22.9.2003 gab es etliche Kundgebungen und Informationsstände gegen Software-Patente, unter anderem in München, Wien, Berlin, Stuttgart und Düsseldorf. Die letzte und daher möglicherweise wichtigste Kundgebung fand am 23.9.2003 in Straßburg vor dem Gebäude des EU-Parlaments statt.

"Sie waren sehr ordentlich!" bemerkte ein Sicherheitsbeamter des Europäischen Patentamts am 19.9.2003 nach der Kundgebung in München. Und tatsächlich: Nicht einmal Zigarrettenkippen blieben nach der Kundgebung auf dem Platz vor dem Patentamt zurück. Sämtliche Aktionen verliefen absolut friedlich und beherrscht. Wenn Leute, die sonst den ganzen Tag konzentriert vor dem Computer sitzen und Software entwickeln, auf die Straße gehen, verhalten sie sich nun einmal anders als Leute, die berufsmäßig mit schweren Gegenständen (Hardware) hantieren.

Vielleicht waren wir zu friedlich und beherrscht, um wahrgenommen zu werden.

Aber vielleicht sollten sich die EU-Parlamentarier einmal fragen, was passiert sein muß, damit solche Leute auf die Straße gehen.

"Auf die Straße" ist dabei wörtlich zu nehmen: Die Adressaten der Botschaft saßen im Inneren eines Gebäudes; diejenigen, die um ihre Existenz kämpften, standen davor und durften nicht hinein. In Straßburg durften wir noch nicht einmal eine Toilette benutzen. Auch nicht die von uns engagierten Künstler, die sich dort umziehen wollten.

Ob wohl die Vertreter der US-Großunternehmen - IBM, Microsoft, vertreten durch die Business Software Alliance - dieselben Schwierigkeiten hatten, die EU-Politiker zu erreichen? Falls ja, ist ihnen großer Respekt dafür zu zollen, daß sie es geschafft haben, daß der von ihnen geschriebene Gesetzentwurf zum Thema Software-Patente praktisch wörtlich von der EU-Kommission übernommen und dem EU-Parlament vorgelegt wurde.

Morgen, am 24.9.2003, soll das EU-Parlament über diesen Entwurf abstimmen. Uns bleibt kaum noch eine andere Möglichkeit, als die Entscheidung abzuwarten - und uns schon mal anstelle der eigenen Firma um eine Anstellung bei IBM zu bemühen, je nachdem, welche Änderungsanträge angenommen werden.

Oder um eine Umschulung zum Patentanwalt, denn nur diese können mit Software-Patenten Geld verdienen - und die Patentämter. Für jedes erteilte Patent erhält das Patentamt einen fünfstelligen Euro-Betrag, der von den Software-Autoren und -Benutzern bezahlt werden muß.

Traurig aber wahr, ist das das Demokratieverständnis der EU-Parlamentarier???

Gast

ÄEhhhm da lass ich mir das editieren Symbol patentieren.Hab auch schon unterschrieben und massig Werbung gemacht.Leider erstgestern den Beitrag gelesen und heute ist doch schon schluss oder?

Peter Forsberg

Hab die Petition gerade unterschrieben.  :headb:

So ein Gesetz ist ja wohl der grösste Schwachsinn.  :motz:  

Wenn die so weiter machen, werden die ganzen kleinen Firmen, Webseitenbetreiber usw alle zugrunde gehen.

Das dürfen wir nicht zulassen!!!

Also alle möglichst schnell diese Petition unterschreiben. Ob es was hilft weiß ich auch nicht. Ist aber immer noch besser als gar nix zu unternehmen.

Mike

Zitathat sich IBM diesen "Fortschrittsbalken", den wir ja von jeder Installation kennen, patentieren lassen.

und dieser Balken kommt auch vor der Flash-Animation von NHL-Tribute, die müssten wir dann auch entfernen .... oder für eine Lizenz an IBM abdrücken ...  :wand:  :wand:  :motz:

Marvel


Mike

Das ist richtig! Oder Amazon hat sich z. B. den "elektonischen Einkaufswagen" patentieren lassen, da wird demnächst keine Shopsoftware mit "aufwarten"  können, wenn dieser Schwachsinn wirklich Gesetz wird!!!

Walzy

da kam auch gerade im ZDF-Heute-Journal ein bericht.....

z.B. hat sich IBM diesen "Fortschrittsbalken", den wir ja von jeder Installation kennen, patentieren lassen..... :wand:  :wand:

Mike

Ein typisches Beispiel für die Absurdität dieses Gesetzentwurfs?
Bitte schön:

Patentiert in Frankreich: 35-Stunden-Woche

Um die ökonomische Absurdität von Software-Patenten offensichtlich zu machen, hat sich die Association Francophone des Utilisateurs de Linux et des logiciels libres (AFUL) in Frankreich den Übergang zur 35-Stunden-Woche als Geschäftsmethode patentieren lassen.

Wenn Software-Patente in Europa legalisiert werden, wird jede französische Firma, die eine 35-Stunden-Woche einführen will, Patentgebühren an AFUL zahlen müssen.

Kann das noch normal sein?

Mike

ZitatLesen lernen verboten!    
Von Markus Gerwinski

Stellen Sie sich vor, Sie leben im Mittelalter. Lesen und Schreiben ist eine geheimnisvolle Kunst, die nur von speziell ausgebildeten Gelehrten, den Schreibern, betrieben wird. Wann immer Sie schriftlich Informationen weitergeben wollen, müssen Sie dafür einen Schreiber engagieren.

Stellen Sie sich nun vor, eine Gilde von Schreibern entwickelt ihre eigene Schrift, die nur von den eigenen Mitgliedern verstanden wird. Alle anderen Schreiber können damit nichts anfangen. Stellen Sie sich weiter vor, diese Gilde erringt beträchtlichen Einfluß und ist mit ihrer speziellen Schrift bald marktbeherrschend, während man Schreiber, die ein anderes Alphabet beherrschen, kaum noch findet. Wann immer Sie Informationen weitergeben und sichergehen wollen, daß der Empfänger sie auch entschlüsseln kann, müssen Sie einen Schreiber dieser Gilde anheuern; oder aber einen Schreiber, der sich die spezielle Schrift der Gilde mühsam selbst angeeignet hat.

Stellen Sie sich als nächstes vor, daß ein Gesetz erlassen wird, demzufolge allen nicht zur Gilde gehörigen Schreibern verboten wird, diese Schrift zu lesen oder zu schreiben, selbst wenn es ihnen gelingt, sie zu erlernen; nur eine ausdrückliche Erlaubnis der Gilde - erhältlich gegen Antrag und eine bescheidene Gebühr - berechtigt nun noch zum Lesen und Schreiben der allgemein üblichen Schrift.

Dies wäre exakt die Situation, die sich ergibt, wenn die Patentierung von Software, derzeit als Gesetzentwurf in Brüssel diskutiert, Wirklichkeit wird.

Software ist nichts weiter als die automatisierte Umsetzung einer Leistung, die früher von Menschen erbracht wurde und deren Beherrschung heute von den Bewohnern von Industrienationen für selbstverständlich erachtet wird. Wann immer ein Programm Daten liest oder schreibt, tut es genau dasselbe, was im Mittelalter der Schreiber tat. Die "Schrift" ist in diesem Fall das Datenformat, das für die jeweilige Sorte von Daten verwendet wird: Für Textdaten ist dies zur Zeit üblicherweise das Word-Doc-Format, für Präsentationen das PowerPoint-Format, für Filmdaten das ASF-Format des Windows-Media-Players etc.

Alle hier genannten Formate sind proprietäre Formate, deren Beschreibung von ihren jeweiligen Erfindern geheimgehalten wird, um sicherzustellen, daß nur mit ihrer eigenen Software ein Kunde die entsprechenden Daten nutzen kann. Sie stellen jeweils nur eine von vielen Möglichkeiten dar, diese Art von Daten zu codieren: So wie das griechische, arabische und hebräische Alphabet im Prinzip dasselbe leisten wie das lateinische, existieren auch für z.B. die Textverarbeitung unzählige Alternativen zum Word-Doc-Format. Viele dieser Alternativen (z.B. das TeX-Format) sind frei, d.h. ihre Spezifikation ist veröffentlicht und darf ohne Einschränkung von jedem Programmierer in seiner Software verwendet werden.

Das marktbeherrschende Word-Doc-Format dagegen wird von Microsoft unter Verschluß gehalten. Jeder Programmierer, der Software entwickeln will, die Doc-Dateien lesen und schreiben können soll, muß das Format auf eigene Faust entschlüsseln; ebenso wie unser fiktiver mittelalterlicher Schreiber sich die spezielle Schrift der beherrschenden Gilde mühsam selbst aneignen muß, um seinen Beruf als Übermittler von Informationen auch weiterhin ausüben zu können.

Wird nun ein Datenformat patentiert, bedeutet dies, daß ein Programmierer, der die Möglichkeit zum Lesen und Schreiben dieses Formats in seine Software einbauen will, hierfür Gebühren an den Patentinhaber abführen muß; der Schreiber, der sich die Spezialschrift selbst beigebracht hat, wird also außerdem noch gezwungen, der Gilde Rechenschaft über seine Tätigkeit abzulegen und sie dafür, daß er ihre Schrift versteht, zu bezahlen. Auf diese Weise behält die Gilde die vollständige Kontrolle über den Informationsfluß in ihrer Gesellschaft.

Welche Rolle die Schrift und - nicht zuletzt - ihre freie Verbreitung für die Entwicklung unserer Kultur und Wissenschaft gespielt hat, ist allgemein bekannt. Nicht umsonst betrachten viele Historiker die Revolutionierung des Buchdrucks durch Gutenberg als Beginn der Neuzeit.

Schon jetzt betrachten viele die Erfindung des Computers und des Internet als Beginn des Informationszeitalters. Der Computer ist dabei, sich als primäres Medium zur Verbreitung von Informationen durchzusetzen. Die "Schriften", in denen wir weltweit Texte, Bilder, Folienpräsentationen, Musik und Filme miteinander austauschen, sind Datenformate.

Schon jetzt werden diese "Schriften" weitgehend von einigen wenigen großen Firmen kontrolliert. Noch ist deren Benutzung nicht ihr ausschließliches Privileg; ein Softwareentwickler, der die Mühe auf sich nimmt, ein proprietäres Datenformat zu analysieren, hat im Moment noch das Recht, seinem Programm das Lesen und Schreiben dieses Formats beizubringen. Noch darf der Schreiber, der die spezielle Schrift der Gilde zu lesen und schreiben versteht, seinen Kunden diese Dienstleistung bieten.

Dies würde sich ändern, wenn in der EU die Patentierung von Software legalisiert würde. Nach derzeit geltendem Recht ist Software wegen solcher und ähnlicher negativer Auswirkungen ausdrücklich von der Patentierbarkeit ausgenommen. Trotzdem sind über 30000 Softwarepatente in Europa schon jetzt - trotz fehlender rechtlicher Absicherung - Realität.

Ende 2002 wird in Brüssel über einen Gesetzentwurf abgestimmt, der diese fehlende rechtliche Absicherung beheben soll. Der Gesetzentwurf besteht im Wortlaut nahezu unverändert aus den Vorschlägen der BSA (Business Software Alliance), einer Vereinigung, der unter anderem Microsoft (Halter u.a. des ASF-Patents) und IBM (Mithalter u.a. des GIF-Patents) angehören. Die Bedenken kleiner und mittelständischer Unternehmen, der Industrie- und Handelskammer sowie des Bundeswirtschaftsministeriums wurden bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs praktisch ignoriert. Wird der Entwurf angenommen, so sind Softwarepatente in Europa künftig rechtliche Realität.

Die Schrift der Zukunft - sowohl zur Übermittlung von Texten als auch von Grafiken, Folienpräsentationen, Musik und Filmen - wäre damit schon bald der exklusive 'Besitz' einiger weniger Großunternehmen.

Natürlich kann man dies als Fortschritt empfinden. Für unseren mittelalterlichen Schreiber allerdings wäre es eindeutig ein Rückfall um ein bis zwei Jahrtausende, zurück in die Zeit der Kelten. Dort nämlich war die Kunst des Lesens und Schreibens das ausschließliche Privileg der Priesterkaste.

Quellen

http://swpat.gnu.de/    Informationsportal zur öffentlichen Diskussion über Softwarepatente
com02-92de.pdf    Richtlinienentwurf der EU-Kommission
proposal.pdf    Richtlinienentwurf der Business Software Alliance (BSA)
Vergleich    Vergleich beider Richtlinienentwürfe durch den Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII)
Softwarepatent-Studie    Studie "Mikro- und makroökonomische Implikationen der Patentierbarkeit von Softwareinnovationen" im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi)
Obwohl die in der Studie dokumentierten Untersuchungen eindeutig zeigen, daß Software-Patente die Innovation behindern, empfiehlt die Studie als "Ergebnis" eine Beibehaltung des Status Quo und eine Streichung des Patentierbarkeitsverbots für Software und widerspricht lediglich einer Ausweitung der Patentierbarkeit nach Vorbild der USA.

Leute, Aufmerksamkeit ist geboten! Wer in der Lage ist, einen solch langen Beitrag zu lesen, sollte für sich entscheiden, ob er dagegen nicht mit angehen will! Eine Unterschriftenliste (elektronisch) dazu gibt es, weiter Infos in meiner Signatur!!!!

Grüße,
Mike